G) Die Wohlstandsgeneration

Und nun weiter zu den Zeitverhältnissen: Ende der 60er Jahre war es dann geschafft: Das Wirtschaftswunder ist perfekt und mit ihm kommt eine neue Generation, die Wohlstandsgeneration, die nichts mehr weiß von der Not und Aufbauarbeit ihrer Eltern. Es ist eine Generation, die immer weniger leisten und immer mehr genießen will. Sexualität und Brutalität – durch geschäftstüchtige Reklame angeheizt – sollen immer stärkeren Kitzel verschaffen. Warnungen von Erziehern, Politikern und der Kirche werden in den Wind geschlagen, ja lächerlich gemacht.

 

Die junge Generation erkennt sehr wohl die Mängel der Konsumgesellschaft, will aber nicht für das eigene Leben  die Folgerung ziehen, sondern protestiert gegen das Establishment,  vor allem  gegen die Kirche, auf die alle Schuld abgewälzt wird. Jede Autorität wird untergraben, nicht zuletzt die des Papstes.

 

Schwindende Einsatzbereitschaft wirkt sich lähmend auf das Gruppenleben aus. Die Forderungen - zum Beispiel des Verzichtes auf  Nikotin - werden als intolerant angeprangert. So greift eine dumme Toleranz gegenüber Zuchtlosigkeit und Genusssucht  um sich. Ein falsch verstandener Pluralismus weicht die Gemeinschaft auf und führt zur Zersetzung. Es wird zwar viel gemanagt, organisiert und diskutiert, aber nichts mehr will klappen. Nicht einmal die primitivsten Forderungen des Gemeinschaftslebens, wie pünktliches und regelmäßiges Erscheinen – besonders wenn im Fernsehen ein Krimi oder Fußballspiel gesendet wird – und Beitragszahlung können allgemein durchgesetzt werden.

 

Die Schuld wird nun in den Oberrunden nicht mehr darin gesehen, dass zu wenig Hirschbergprogramm gefordert und gelebt wird, sondern dass die jüngere Generation mit zu- viel Hirschberg indoktriniert sei. Darum komme sie zu keiner eigenständigen Entscheidung. Und das Heilmittel lautet: „Alles muss in Frage gestellt werden.“ – Auch das Ziel: Lebensgestaltung in Christus. Der total Ausverkauf ist perfekt, die völlige Verunsicherung ist gelungen.

 

In dieser Zeit kommt der Wunsch einer Fusion mit den Mädchengruppen des Heliand auf. Die Mädchen arbeiten in der Redaktion des ´Silbernen Pfeil’ mit und es wird pro und contra diskutiert:   

 

                    „Man hat sie fusioniert,

                    man reicht sich nun die Hände;

                    ob das wohl funktioniert?

                    Oder ist das das Ende?“    

 

 Beim Führertreffen zu Allerheiligen in Johannisthal 1969 waren erstmalig Heliandmädchen dabei.

 

Im Herbst 1971 tritt die bisherige Führungsschicht der ersten Oberrunde fast geschlossen aus  dem Bund aus, weil der Gruppenkaplan den Verunsicherungstrend nicht mitmacht.

Auch in den folgenden Jahren wird von  „progressiven“ Leuten der Oberrunden der Gruppenkaplan immer wieder als erzkonservativ verketzert und weil er den Liberalisierungstendenzen nicht nachgibt, treten nicht wenige aus der Gruppe aus.

 

Natürlich führte diese Infragestellung christlicher Wahrheit und Werte in eine Sackgasse. Wie sich bei einem Ehemaligentreffen 1981 zeigte, hatten mehrere dieser Generation übereilt einen Schlussstrich gezogen und waren aus der Kirche ausgetreten. Einer blieb trotz

Dunkelheiten und  Zweifel in der Kirche und biss sich durch: 

 

                                                                                                             München, den 7. April 74

  • „Ich darf Ihnen in tiefer Verbundenheit mitteilen, dass Gott mir täglich seine allerfüllende Gnade, seine wärmende Liebe und erhellende Weisheit konkreter als alle bisher erkannte  ‚Realität’ spüren, fühlen, erfahren lässt. Ich freue mich, Christus wieder entdeckt zu haben... Fragen, ob Christus oder die Bibel geschichtlich sind etc., sind für mich heute kein Problem mehr...Diese Wahrheit darf ich heute...nicht nur als intellektuelles Wesen, so wie ich es früher versucht habe, sonder mit meiner ganzen Person...erfahren.

            Aber auch ich musste erst lange Entwicklungsjahre tiefster Depressionen und Ängste     

            durchschreiten, bis ich... erkannte, wie nahe Gott dem Menschen ist und dass es ‚nur’     

            der bedingungslosen Hingabe... des Menschen bedarf, um deretwegen man erst alle  

            die  Hemmnisse abbauen muss, die einem den Weg ins Freie verdunkeln.

            Vielleicht trägt dieser Brief auch dazu bei, ein eventuell falsches Bild, das Sie von mir  

            noch aus vergangenen Ereignissen haben könnten, zu ändern. Ihr Gerhard M.

 

Es gab auch solche, die den geraden Weg weitergingen:                                  Kempten Jan. 95

  • „Geprägt durch die Amberger Zeit in Ziegeltor, Aktiv, Bärenhof und Grimmerthal versuchen wir, auch hier in Kempten in Schule und Pfarrei die Idee von Glaube und Gemeinschaft weiterzutragen.                                                                Markus und Geli

 

Disziplin und Moral der Gruppen nehmen immer mehr ab. Auch die Führungskräfte der Region sind nicht mehr in der Lage, vielfach auch nicht mehr willens, die bisherige Ordnung durchzusetzen. Über eine regionale  Führerschulung Ende Februar  72 in der Jugendherberge Kehlheim berichtet der Silberne Pfeil: “Während der nächtlichen Exkursion konnten sich  die angespannten Gemüter durch Saufen und Rauchen wieder entspannen. Um 10 Uhr sollten  alle Teilnehmer in der Herberge zurück sein. Bis  1 Uhr erschienen dann die Letzten.“

Bezeichnend ist auch folgende Bemerkung: “Die Teilnehmer wurden mit sachlichem Wissen über sofort anwendbare Methoden vollgepumpt“, ohne Förderung von „Persönlichkeits bildung“.

 

Natürlich machte ich mir Gedanken darüber, wie man diesen Verfallserscheinungen begegnen könne und regte im April 72 die Gründung eines „Aktivs“ an: “Es ist eine Gemeinschaft quer durch alle Mittel- und Oberrunden von solchen, die bereit sind, über ein Klubdasein hinaus sich zu engagieren und zu binden.“ Für das Aktiv, an dem sich auch Heliandmädchen beteiligten, war jeden Samstag abend Gemeinschaftsmesse im Rittersaal des Heims mit Diskussion über die Lesungen, welche sich oft über eine halbe Stunde hinzog. Mehrmals im Jahr fanden Aktivtreffen in Bärenhof, einem ehemaligen Forsthaus bei Kastl, statt, bei denen besonderer Wert auf Persönlichkeitsbildung gelegt wurde. - Freilich konnte das den Verfall nur bremsen, jedoch nicht aufhalten. 

 

Beim Oberrundentreffen der Region Hirschberg zusammen mit Heliand an Allerheiligen 72 in Johannisthal kam es dann zum Eklat: Mit großen Erwartungen kommt man an. Es soll kein Zwang sein – alles improvisiert. Doch nur zwei „Arbeitskreise“ finden Interesse: „Besuch des ältesten Wirtshauses der Oberpfalz“ und „Bunter Abend“. Bei diesem werden die Darbietungen der Heliandmädchen von den Herren der Schöpfung regelrecht ´verarscht´. Als der Regionalkaplan einschreiten will, wird er niedergelacht.

Seltsame Ansichten werden laut: das  „katholisch“ sei bloß mehr Tarnung gegenüber der Kirche, um finanzielle Zuschüsse zu bekommen und gegenüber den Eltern, dass sie ihre Kinder als Versuchskanikel für progressive Pädagogiker zur Verfügung stellen.

Am Fest Allerheiligen besucht kein einziger Teilnehmer die Hl. Messe, obschon ein Priester im Haus ist.

Von Nachtruhe ist natürlich keine Rede. – Wem wundert es dann, dass der Direktor des Hauses am Ende des Treffens zu verstehen gibt, dass er vorerst keine Tagungen der Region Hirschberg mehr in sein Haus aufnehmen wird.

 

Da ich nun keinerlei Einfluss mehr auf die jungen Leute hatte, gab ich das Amt des Regionalkaplans auf. -  In der Folge lösten sich alle Gruppen der Region Hirschberg – außer Amberg - nämlich Hof, Marktredwitz, Weiden und Schwandorf auf und die Gruppe Amberg wurde der Region Donau eingegliedert. Vom Zerfall der  Weidener Gruppe existiert folgende Dokumentation:

 

        „Weiden im Jahr 72: Die Arbeitskreise verschwinden in der Versenkung; der Gruppenkaplan, der sich sichtlich falsche und zu hohe Vorstellungen von ND gemacht hatte, resigniert und  tritt ab. Die oberrundeninterne Zersplitterung setzt sich weiter fort. Die ND-band löst sich mehr und mehr von der Gruppe... und bildet einen Staat im Staate. Das böse Wort „Auflösung“ fällt zum erstenmal im Oktober 71: Fehlgeschlagene Neulingswerbung, mehrere schwache Fähnlein, eine ratlose Oberrunde... und kein Gruppenkaplan – hat das noch einen Sinn? - Die Bandmitglieder provozieren hässliche Streitereien in der Oberrunde – im übrigen feiert die Gleichgültigkeit Triumphe. - So kam, was schon lange kommen musste: Ein letzter Einigungsversuch scheiterte. Er hätte – aufbauend auf die Erkenntnisse von Johannisthal 71 – neue Impulse bringen sollen: Die Oberrunde lehnte ab. - Es gab nur noch einen vernünftigen Weg: die Auflösung.“

 

Nach langem hin und her um den Namen des Bundes hatte sich nun endgültig die Bezeichnung „Katholische Studierende Jugend / KSJ“ durchgesetzt. Und während bisher ND und Heliand getrennt waren, vereinigten sie sich vielerorts. Das geschah in Amberg nicht ohne Geburtswehen. Die Führerinnen des Heliand waren nämlich strikt dagegen. Aber vor allem durch das Aktiv waren die freundschaftlichen Bindungen besonders der Mittelgruppen so stark, dass alles Gezeter der Großen nichts half.

 

Mittlerweile suchte man nun auch auf  Bundesebene nach den Ursachen der Misere und glaubte, sie gefunden zu haben – im Hirschbergprogramm, das angeblich den Zeitverhältnissen nicht mehr entsprach. So erwartete man Heilung und Heil von einem neuen Programm, das gewissermaßen als Geschenk zum 50jährigen Jubiläum von Hirschberg erschien, die „Plattform“. Wegen deren unübersichtlichen Gliederung, geschraubten Ausdrucksweise und vor allem wegen der verschwommenen, ja häretischen Aussagen über den Glauben, sah ich mich veranlasst, für unsere Gruppen eine Schrift herauszugeben:„Die Plattform - ein Programm für unsere Gruppen?“ Daraus nur ein paar charakteristische Zitate:

 

  • Christus ist „ein faszinierender Mensch“, der sich „von anderen humanen Gestalten durch Radikalität... unterscheidet“ – also nur ein Mensch?
  • „Gebet und Gottesdienst sind Vollzüge der Innewerdens einer von Christus errichteten Hoffnung, die Jesus  Vater nannte“ - Gott also nur eine menschliche Hoffnung?
  • „Wo unter dem Anspruch Jesu Christi Herrschaft Gottes verkündet... und wo Menschen... Herrschaft Gottes zu realisieren suchen, da ist Kirche“ – also Basisgemeinschaften ohne die von Christus eingesetzte Hierarchie.
  • „Wo die Kirche statt zu dienen zu herrschen versucht, muss sie sich der Selbstkritik unterziehen“ – Kirchengebote sind also Anmaßung einer Herrschaft. An Stelle des „Sentire cum ecclesia“ ist nun Klassenkampfmentalität getreten.
  • „Herrschaft Gottes ist... Antrieb zu politischem Handeln“. - Nicht mehr „auf  Innerlichkeit begründetes Apostolat“ ist nunmehr Wesensmerkmal unseres Bundes, sondern politischer Aktivismus. Und natürlich ist äußerer Protest bequemer als innere Auseinandersetzung mit Lebensgestaltung in Christus.   

 

Weil in der Region Donau die gleichen Zersetzungserscheinungen wie in der Hirschbergregion bestanden, trat auch bald Oberstudienrat Gerd Petz von seinem Amt als Regionalkaplan zurück. Und da mich die Chamer als Nachfolger vorschlugen, nahm ich die Kandidatur, um boshafterweise in ein Wespennest zu stochern, an. Erwartungsgemäß gab das bei den in der Region „Regierenden“ eine große Aufregung: “Merz ante portas!“ Die Wahlversammlung war strategisch vorbereitet. Und weil nach Bundesbrauch bei der Wahl des Regionalkaplans ein Priester den Vorzug haben sollte, gab es eine hitzige Redeschlacht, die Pater Clemens mit einer Gerichtsverhandlung verglich. Vor allem wurde mir natürlich meine Kritik an dem neuen Bundesprogramm „Plattform“ vorgeworfen. Wie nicht anders zu erwarten, wurde nicht ich, sondern ein „grüner“ Laientheologe zum Regionalkaplan gewählt. Darüber war ich alles andere als unglücklich, denn ich hatte ganz andere Pläne.

Dass auch alle KSJ- und Heliandgruppen der Donauregion – außer Amberg und Cham - vor die Hunde gingen, war nur eine Frage der Zeit.

 

Mittlerweile war auch die Begeisterung des Aktivs abgeflaut und ich machte mir Gedanken, was man gegen den Werteverfall in der Jugend unternehmen könnte. Ich erinnerte mich an unsere Begeisterung für das Hüthaus in Godlricht und dann kam mir der Gedanke: Wir brauchen ein Landheim, wo die Jugendlichen nicht nur zu Gruppenstunden zusammenkommen, sondern einige Tage in einer frohen und unbeschwerten Gemeinschaft Lebensgestaltung in Christus erleben. Ich besichtigte mehrere Objekte, z.B. leerstehende Schulhäuser, Mesnerhäuser und - zusammen mit Herrn Direktor vom Landbauamt Maier - ein wunderschönes, aber in Verfall begriffenes Fachwerkhaus in Götzendorf. Letzteres wollten wir zu einem Jugendheim ausbauen und begannen bereits zu entrümpeln. Jedoch scheiterte das Unternehmen am  „Wenn und Aber“ der Dörfler  und an der Verweigerung von Zuschüssen.           

 

files/ksj-pool/merz/image001.jpgDa  erfuhr  ich anfangs   Februar 1973 von  Arno Diener:Die Grimmerthalmühle wird  verkauft“. Die Gegend kannte ich von meinenWanderungen her gut. Ich besprach mich sogleich mit Herrn Pfarrer Grasser von  Rottendorf  und   dem   Grimmerthalbauern.

 Doch dieser: „Die Mühle ist schon verkauft, wenn  auch  noch nicht verbrieft. Eine Münchner Baufirma hat 30.000- DM geboten  und  bereits   2.000.-  DM  angezahlt.“ – „Das  bekommen   Sie  von   mir auch“.

Ich  wunderte mich, dass  er sofort zusagte.– Nach dem Kauf erfuhr ich allerdings, dass das bäuerliche Schlitzohr in Wirklichkeit das Anwesen um 20.000.-  DM verkauft und  200.- DM Anzahlung erhalten hatte. Trotzdem: Es war ein Glücksfall.

 

Ich verständigte sofort den Bischöfliche Finanzdirektor, Domkapitular  Häglsberger. Dank  der schnellen und unbürokratischen  Reaktion  der  bischöflichen  Ämter  wurde  der  Kauf  bereits  am 16. 2. verbrieft.

 

files/ksj-pool/merz/image003.jpgNun begann die strategische Planung des Baues und der Finanzierung, ein Telefon– und Papierkrieg von enormen Ausmaßen: Verhandlungen mit Notariat, Vermessungsamt, Wasserwirtschaftsamt, Polizei, Gemeinde, Wasserzweckverband, Bischöflichem Finanzamt, Pfründepachtstelle, Landratsamt, Bauamt, Landschaftsschutz, Abgeordneten des Land- und  Bundestages, Landesjugendring, Bürgermeistern, Abgeordneten und Präsidenten des Bezirkstages, Regierung und Regierungspräsidenten, BDKJ, Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Bundesministerienusw. usw.- von den vielen Verhandlungen mit Firmen ganz zu schweigen .

 

Inzwischen  war die  Frage der  Trägerschaft   des  geplanten Projektes akut geworden. Daher gründeten wir den "Verein zur Förderung der Studierenden Jugend des Grenzlandes e.V." und hoben ihn im Kloster Miesberg bei Schwarzenfeld am 24. Juni 73 aus der Taufe. 

 

Und nun nahm das Wunder von Grimmerthal seinen Lauf:

Im Spätherbst 73 war 50jahrfeier der Amberger ND Gruppe.- Bei der Festveranstaltung im großen Saal des Josefhauses gab ich den Plan, ein Jugendlandheim zu bauen, bekannt. Auf die Frage, wie denn das gehen sollte, ohne ausreichende Finanzmittel, gab ich zur Antwort:

„Dann wirken wir eben ein Wunder“.

Die Resonanz war ernüchternd, vor allem beim Klerus, der offenbar nicht an Wunder glaubte:

„Du wirst schon sehen!“ – „Da ließe ich die Hände weg!“ - „Sich so eine Arbeit machen in seinen alten Tagen, da viele bereits den verdienten Ruhestand genießen!“

 

Doch allen Unkenrufen zum Trotz - das Wunder geschah:

Mit Herrn Landbauamtsdirektor Maier  besichtigte ich die alte Mühle. Er fragte mich: „Haben Sie denn das Geld dazu? Unter DM 300.000.- ist nichts zu machen.“ – „Nein, aber das wird schon kommen.“ – „Haben Sie wenigstens einen Architekten, der das alte Haus - das er unbedingt erhalten wollte -  vermisst und einen Plan anfertigt?“ – „Noch nicht.“ – „Das könnten eigentlich wir machen.“ – „Sehen Sie, jetzt habe ich schon einen.“

Die Lehrlinge des Landbauamtes vermaßen mehrere Tage hindurch das alte Mühlengebäude und schon bald war der Umbauplan fix und fertig.

 

Da traf ich in der Nähe von  Grimmerthal einen ehemaligen Schüler, Dipl. Ing. Wieder, mit einem Freund, der ebenfalls Statiker war. Wir besichtigten die alte Mühle und das einhellige Urteil war: „Weg damit! Das gibt nur viel Arbeit und Verdruss.“ Jetzt war ich aber in der Klemme: Was wird der Herr Baudirektor sagen?

Etwas belämmert trug ich ihm den Sachverhalt vor. Natürlich war er ungehalten und meinte: „Das wäre noch schöner! Alles kann man! Ich habe einen Statiker, der macht das. Da müssen Sie halt so 5.000.- bis 10.000.- DM aufwenden für die Statik. Ich rufe gleich an.“

Mir wurde schwül. Der Statiker sagte zu und war in einigen Minuten da. Und – 0 Wunder! – es war Merk Josef, einer meiner ehemaligen Schüler und Mitglied unserer Gruppe. Ich sagte: “Sepp, das ist ja großartig, dass Du da bist.“ -

Jetzt war der Herr Baudirektor verdutzt, zumal Merk Josef gleich erwiderte: “Die Statik mache ich natürlich gratis.“

Wir fuhren nach Grimmerthal und sein Urteil: “Weg!  Und etwas Neues!“

Ich meinte: “Wie bringen wir das bloß dem Herrn Baudirektor schonend bei?“

 

Aber Josef machte das: „Herr Baudirektor, in diese Umgebung gehört ein Haus, das nicht irgend ein Architekt, sondern nur Sie entwerfen können. Sie brauchen uns nur die Skizzen liefern; die Pläne fertigen wir dann in meinem Büro.“

 

Wenn nun schon ein Neubau, dann natürlich geräumiger. So fuhr ich denn nach Regensburg zur Regierung und erhandelte einen Meter in die Breite. – Der Herr Baudirektor fuhr nach Regensburg und erhandelte einen Meter in die Länge. – Bald war Bauplan 2 fertig.

Aber auch dieser war leider nicht der Weisheit letzter Schluss. Er wurde von der Regierung abgelehnt, weil im Außenbereich kein  Neubau, sondern nur ein Umbau erstellt werden durfte.

 

So wurde denn ein dritter Plan für einen Umbau erstellt, in dem die Ansicht des alten Gebäudes und der neue Plan ineinanderkopiert waren – eine Wahnsinnsgeburt, die aussah wie ein Fleckerlteppich und unmöglich in die Realität zu überführen war. Aber dieser Plan wurde genehmigt. Alleluja! – Wunder sind möglich, aber anstrengend.

 

Und so ging es weiter: Herr Baudirektor fragte mich: „Haben Sie einen Architekten für die Bauleitung?“ - „Nein, aber den werden wir haben.“

Zufällig traf ich in diesen Tagen den jungen Seebauer, einen ehemaligen Schüler und sagte zu ihm: „Einen schönen Gruß an Deinen Vater! – Ich baue ein Jugendheim und habe kein Geld.

Wenn dein Vater die Bauleitung gratis übernimmt, bekommt er sie.“ – Er bekam sie.

 

Darauf hin wurde ich noch zuversichtlicher und stellte die besten Fachkräfte ein gegen höchste Gage: Gottes Lohn. Und  allenthalben fand ich Verständnis und Hilfe.

 

Nun wandte ich mich an das Bischöfliche Finanzamt um einen Zuschuss – und wurde prompt zum „Geistlichen Rat“ ernannt. Priesterkollegen ermahnten mich: „Da musst du aus Dankbarkeit mindestens 1000.- DM an den Bischof  überweisen!“ - „Denkste!“  Statt dessen fuhr ich zum Bischöflichen Finanzdirektor: „Ihr habt mich zum Geistlichen Rat ernannt: Schön und gut! Aber ich brauche Geld, sonst bin ich ein ratloser Geist“.

Und nun klappte es, zumal ich versprach, dass ich für den Unterhalt keine weiteren Zuschüsse benötigen werde. Ich bekam DM 300.000.- und die Arrondierung des erworbenen Geländes durch großzügige Drangabe von Pfarrpfründegrund.

 

Für einen Höhepunkt des Wunders aber halte ich dies: Der Bau hatte schon begonnen - da kamen zwei Elektromeister von Siemens, Herr Lux und Herr Grübl auf einer Wanderung durchs Grimmerthal. Als ich sie von meinem Vorhaben in Kenntnis setzte, sagte Herr Lux spontan: „Die Elektroinstallation können wir machen.“ Die Firma Siemens stiftete das Material und die beiden Elektromeister arbeiteten über ein Jahr hindurch Winter wie Sommer jedes freie  Wochenende und sogar während des  Urlaubs, sodass die  Elektroarbeiten  termin-gerecht erledigt wurden und der Bau nie ins Stocken geriet.

 

Diese vielfältige Unterstützung kam irgendwie auch unseren Arbeitern zu Ohren. Eines Tages bekam ich einen Anruf der Fa. Hebel, Stulln: Es sei ein Lastauto da und will Gasbeton für das Jugendheim Grimmerthal holen. Die Fahrer behaupten: „Der Herr Merz bekommt alles umsonst.“

 

Aber es gab auch kräftigen Gegenwind:

  • Es wurde gestohlen, unverschämt gestohlen. Kaum war der Wasserleitungsanschluss in den Keller des alten Gebäudes gelegt, wurde er mit Gewalt herausgerissen, um die Hähne zu entwenden. – Ein Steintrog im ehemaligen Stall verschwand. -  Kupferdachrinnen wurden abmontiert und gestohlen. – Frischgepflanzte Schwarzkiefern  wurden zweimal hintereinander ausgegraben und entwendet. – Sogar das dicke  Kabel des Baukranes war eines Tages abgeschnitten und verschwunden. - Unser Baumeister sah, wie ein Wagen mit einer Fuhre   Steingutrohre in einem Hohlweg verschwand. Als wir der Sache nachgingen, fanden wir die Rohre sauber gestapelt bei den Pfründeweihern  nördlich von Grimmerthal. Der Pächter gab sich erstaunt: Die muß irgendwer hergefahren haben.“

 

Es gab Beschwerden

  • bei der Regierung, etwa des Inhalts: “Der Merz darf alles und wir dürfen nichts.“ - Und das von Leuten, die selber Jugendarbeit betreiben.

Es gab Gerüchte:

  • Wir hätten einen Weg durchs Grimmerthal beantragt und die Anlieger müssten dafür bezahlen. Als selbst eine diesbezügliche Erklärung des Vorsitzenden der Flurbereinigung nichts fruchtete, mussten wir mit dem Rechtsweg drohen.
  • Schlosser Ausberger erzählte uns: Als er einem Kunden die Fenstergitter für Grimmerthal zeigte, sagte dieser: “Ich weiß schon, das wird das Merzpuff.“

Es gab Widerstände:

  • Den Stall wollten wir zu einem Nebengebäude „umbauen“ und durch Bachverlegung einen Spielplatz gewinnen. Die Eingabe samt den  Plänen war eingereicht und die Sache bereits mit der Regierung besprochen und von dieser die Genehmigung zugesagt worden. –  Fehlte nur noch die Zustimmung der unteren Naturschutzbehörde. - Nach monatelangem Warten telefonierte ich nach Burglengenfeld und bekam die Auskunft: „Am Dienstag ist Sitzung des Naturschutzes und da wird die Sache abgelehnt, weil der Vorstand dagegen ist.“ Als ich mich über dieses merkwürdig undemokratische Gebaren wunderte und bemerkte, dass ich zu dieser Sitzung kommen werde, wurde der Mann aufgeregt: Ich hätte zur Sitzung keinen Zutritt und er hätte das überhaupt nicht sagen dürfen. Trotzdem fuhr ich nach Burglengenfeld und bat Landrat Schuierer bei der Behandlung meines Falles anwesend sein zu dürfen. Ich traute meinen Ohren nicht, als ich meine Eingabe verlesen hörte: Aus der Bachverlegung war eine „Bachbegradigung“ geworden und aus der kleinen Spielwiese ein „Sportplatz im Landschaftsschutzgebiet“. Mein Einspruch nützte nichts und Leute, die nicht einmal wussten, wo Grimmerthal liegt, lehnten das gesamte Vorhaben souverän ab. Zum Glück war die Regierung vernünftiger und sagte wenigstens die Genehmigung eines Nebengebäudes zu.
  • Ursprünglich wollten wir zunächst das Nebengebäude errichten und als Bauhütte für das Hauptgebäude benützen. Die Pläne dafür fertigte – natürlich gratis – ein Mitglied des Männerrings, Bauingenieur Anton Hirth. Als wir schon die Fundamente betoniert hatten, traf uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel am 24.6. die Ablehnung der Baugenehmigung für das Nebengebäude, weil ein „Nebengebäude“ nicht bewohnbar sein darf. Wir reichten nun einen Plan für ein Nebengebäude ein, indem wir die verschiedenen Bereiche zu Lagerräumen erklärten. Dieser Plan wurde genehmigt mit der Auflage eines Flachdaches. Ich wandte mich an den Regierungspräsidenten, unseren Bundesbruder Emmerich. Der war zunächst ungehalten über meine Hartnäckigkeit und sagte mir bei meinem zweiten Anruf: “Du bekommst einen Neigungswinkel für das Dach zugeteilt, dann kannst du machen, was du willst.“ Ich bedankte mich und sagte: “Das ist ein Wort – das mache ich.“ Seitdem fragten wir nicht mehr.

Damit das Obergeschoss bewohnbar wurde, setzten wir nun das Dach mit einem Kniestock 60cm höher. – Nach einem Jahr reichte ich eine weitere Eingabe an die Regierung: “Ausbau eines Nebengebäudes zu einem Wohngebäude“ das wurde genehmigt. – Da machst was mit!

Und nun noch ein besonders fetter Hund:

  • Vor Beendigung der Bauarbeiten machte die Fa. Bathelt Konkurs – nicht unsertwegen! – und trat ihre Forderungen uns gegenüber an die Sparkasse Schwarzenfeld ab. In der Hektik überwies ich nun wie gewöhnlich DM. 30.000.- an die Raiffeisenkasse, die darin ein Geschenk des Himmels sah. Die Sparkasse schrieb mir nun: „Die Raiffeisenbank weigert sich, den uns zustehenden Betrag herauszugeben. Regressansprüche behalten wir uns vor.“ Zum Glück konnte Herr Landrat Wagner die Sache bei den vorgesetzten Behörden in München ausbügeln.

Aus der Bauchronik:

  • Ende Februar/ Anfang März 74 – es liegt noch Schnee – fällen unsere Buben an die 20cbm Holz, entasten es und entrinden die Stämme in der Zimmerei Meier in Schmidgaden.
  • Am 2.5.74 trifft endlich die Genehmigung zur Errichtung des Hauptgebäudes ein und am 18.5. beginnen die Abbrucharbeiten. Diese hat Herr Auernheimer übernommen. Er lieh sich von den Amerikanern einen riesigen Caterpiller, bestellte und bezahlte einen Fahrer und griff bei den Arbeiten selber kräftig mit zu. Als der Caterpiller gegen die Vorderfront des alten Mühlengebäudes fährt, stürzt diese – O Schreck! – mit gewaltigem Getöse und einer riesigen Staubwolke in sich zusammen. Da der Caterpiller kein Dach hatte, bekam auch der Fahrer einen Schreck ab: „So gefährlich habe ich noch nie gearbeitet.“  

Desgleichen bekam Herr Baudirektor Meier auf diese Nachricht hin einen Schock: „Schaut, dass ihr schleunigst den Bau hochbringt, sonst stellt ihn die Regierung ein!“ Zum Glück ist Grimmerthal so abgelegen, dass man in Regensburg nicht Wind von dem „Unglück“ bekommt. Als das Haus bereits im Rohbau stand, erzählte ich dem zuständigen Regierungsrat von diesem „Malheur“:„Natürlich kann man so hinfahren, dass alles zusammenkracht,“ – „Jetzt haben Sie wieder recht.“

  • Den Winter hindurch schlagen unsere Buben fleißig Schlitze für die Leitungen und ertragen im Keller des Rohbaues  die nächtliche Kälte sowie  die Orgien der Grimmerthalmäuse, die den Schlafenden über ihre Gesichter flitzen.
  • Am 14.4.75 begann dann der zweite Bauabschnitt: Ausbau des Hauptgebäudes, Errichtung des Nebengebäudes und Aushub des Badeweihers. Dieser hat viel Geld und Arbeit gekostet. Der schwabbrige Mühlweiherschlamm musste entfernt und der Grund mit festem Material tragfähig für die Pflasterung  gemacht werden.
  • Bürgermeister Prechtl bat ich um einen finanziellen Zuschuss für unseren Heimbau. Er jammerte mir vor, dass die Stadt bettelarm sei. Ich sagte:“Ihr seid steinreich.“ Im städtischen Bauhof lagerten nämlich zigtausend Pflastersteine, die bei einer Neugestaltung der Georgenstrasse entfernt worden waren. „Dann gib mir wenigstens Pflastersteine!“ Lächelnd wurde diese bescheidene Bitte gewährt. Nun fuhren wir Lastauto um Lastauto voll Steine nach Grimmerthal bis die etwa 1200 qm Weihergrund gepflastert waren. Da dämmerte es plötzlich den Leuten vom Bauhof, dass die in Jahrhunderten abgeschliffenen Steine einen beträchtlichen Wert besaßen: So musste denn die letzte Fuhre im Bauhof wieder abgeladen werden. Das Straßenbauamt fuhr uns dann die noch benötigten Steine gratis nach Grimmerthal.  
  • Nach einem weiteren Grundstückstausch über die Pfarrpfründe konnte noch zusätzlich  Gelände für einen großen Spielplatz, einen kleinen Zeltlagerplatz und ein Biotop erworben werden. Freilich mussten wir das hügelige Gelände noch planieren. Nach unseren Erfahrungen mit der unteren Naturschutzbehörde hielten wir uns jedoch nunmehr an das Wort des Regierungspräsidenten:„Dann könnt ihr tun, was ihr wollt.“

Weil unser Bundesbruder Anton Hirth die Nivellierung gratis besorgte, ging auch das schmerzlos von statten.  

 

In diese hektische Zeit des Heimbaues fällt auch die Krankheit und der Tod meiner Mutter am 8.Juli 1975. Auch auf ihrem Krankenlager war sie mehr um mich als um sich selbst besorgt.

Da sie nicht mehr für mich sorgen konnte, bat sie die Schwestern der Haushaltungsschule, diese Sorge zu übernehmen. Wiederholt sagte sie bei meinen letzten Besuchen im Krankenhaus: „Du musst jetzt gehen, denn du musst morgen wieder fit sein für deine Pflichten in der Schule  und beim Heimbau!“

Auf ihr Sterbebild ließ ich das für sie so bezeichnende Wort der Geheimen Offenbarung schreiben:   

 

„SEI GETREU BIS IN DEN TOD, SO WILL ICH DIR DIE KRONE

DES LEBENS GEBEN“ Apc.2,10

 

  • Im Frühjahr 76 war nochmals ein Rekordeinsatz  der Gruppe in Grimmerthal: Die feuchten Wiesen wurden durch eine Trainage trockengelegt, die Strasse bekam einen festen Unterbau und Hunderte von Büschen  und Bäumchen mussten gepflanzt und bei der außerordentlichen Hitze täglich gegossen werden.
  • Am 11. Juli  war  es   dann so  weit: Im  Rahmen  einer  Festmesse  und  unter  Beteiligung zahlreicher Eltern, der Bauleute und vieler Festgäste wurde das Jugendheim Grimmerthal von Pfarrer Grasser eingeweiht.

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Aus dem „Wort des Dankes“ der Festschrift:      

  • „Was ich eingangs über das Wunder gesagt habe, war kein Gag. Ich habe bei diesem Unternehmen in vieler Hinsicht das Wirken Gottes erfahren. Darum gilt ihm der erste Dank... .
  • Der nächste Dank gilt meiner verstorbenen Mutter, die durch ihre Anspruchslosigkeit mithalf, einen finanziellen Freiraum zu schaffen, der das Wagnis in vieler Hinsicht erleichterte. Bis in ihre letzten Lebenstage nahm sie Anteil an diesem Werk. Ihr ganzes Vermögen steckt im Jugendheim Grimmerthal.“

 

Unser Landheim ist eine rund herum gelungene Sache. Nach einem festen Turnus finden nun Jahr für Jahr dort unsere beliebten Gruppenveranstaltungen statt: Führertreffen zu Beginn des Schuljahres im September, Allerheiligen– und Dreikönigtreffen, Junggruppenfasching, Ostertreffen, Grimmerthalfest, Pfingsttreffen und Sommerzeltlager in den großen Ferien.  

 

Nicht nur aus Bayern, sondern aus dem ganzen Bundesgebiet mieten Schulklassen, Jugendgruppen und  Pfarreien unsere Häuser für Einkehrtage, Schullandheimaufenthalte, musische Tagungen, Klassentreffen und Ferienkolonien.

Nur einen Fehler hatten wir gemacht: unser großer Abfallbunker verbreitete Gestank und zog die Grimmerthalratten an. Ich ließ ihn entleeren und nach hinten erweitern zu einer Garage.

Und schließlich wurde Haus 3 daraus: eine zünftige Hütte mit 12 Schlafplätzen, Nasszelle und einen Tagesraum mit Kochnische. Von unseren Großen wurde das Häuschen liebevoll mit einer Aufschrift versehen: „Franzlalm“.

 

Wegen seiner herrlichen Lage wurde das Grimmerthal des öfteren von Volkswanderungen heimgesucht. Aberhunderte Wanderer zertrampelten dabei unsere Wiesen. Daher versetzten eines schönen Wandertages unsere Großen die Wegmarkierungsfähnchen und leiteten die Volkswanderung den steilen Hohlweg zum Steinköpl hinauf. Auf halber Höhe brachten sie eine Tafel an: „Ätsch – falsch!“ Brav und gewissenhaft folgten die Volkswanderer der verlegten  Spur  und  kamen  fluchend  und  zeternd  wieder  herunter: “So eine Gemeinheit! –

Das  gibt noch ein böses  Nachspiel!“ –  Es  gab  kein  Nachspiel. Aber  seitdem  führte  keine  Volkswanderung mehr durchs Grimmerthal.

 

Grimmerthal war zweifelsohne ein Erfolg und in vieler Hinsicht eine Stütze für das Gruppenleben. Es konnte jedoch den religiösen und sittlichen Substanzverlust der Wohlstandsgesellschaft nicht wettmachen. Bald zeigten sich die Folgen der Verunsicherung. Mit einer Maßregelung fing es an:

                                                                                                                                           22.5.77

  • „Ich bin immer gern in ND gewesen und glaube auch fest, dass der Bund meine Jugend geprägt hat, wenngleich ich heute nicht mehr von all dem überzeugt bin, was ich einmal gesagt und gedacht habe. Aber das ist eben der Gang der Zeit... Auch Ihre festen Standpunkte – manche sagen „Ihre Sturheit“ – habe ich eigentlich immer geschätzt, wenngleich ich oft dagegen angelaufen bin...

 Die Sache mit dem Herrmann hat im Fähnlein manche Diskussionen ausgelöst. Wenn ich richtig informiert wurde, haben Sie dem Herrmann gesagt, dass sein Verhalten für die KSJ nicht tragbar sei, woraus er die Konsequenzen gezogen hat und ausgetreten ist...Was mit dem Herrmann geschehen ist, ist eine Schauexekution... Da wir aber alle das Fähnlein notwendig brauchen, auch den Bund, können wir einen Zerfall nicht riskieren...“          Günther

Das volle Ausmaß der Verunsicherung jedoch wurde sichtbar beim Ehemaligentreffen in Grimmerthal. Meinen Eindruck brachte ich in einem Brief an die Teilnehmer zum Ausdruck:

 

                                                                                                                  Amberg, im Advent 81

„Das Treffen der Ehemaligen in Grimmerthal hat stärker auf mich gewirkt, als es zunächst den Anschein hatte. Ich musste wohl auch den metaphysischen Schock des zweiten Tages, an dem es um den Erfolg unserer religiösen Bemühungen ging, geistig verarbeiten.

Wie hieß es doch in der Ordnung des Aktivs? „Ziel ist die Lebensgestaltung in Christus“ – „Eucharistie, das Zentrum unserer Lebensgestaltung“

Die Messe am Sonntag erschien mir wie der Leichengottesdienst für das Aktiv vor einigen wenigen Hinterbliebenen...

Mit erfreulicher Offenheit wurde die persönliche Glaubens- bzw. Unglaubenssituation bekannt samt den Ursachen wie z.B. ‚Ich bin mit der Sexualmoral der Kirche nicht einverstanden“.

Ist das etwa die köstliche Frucht vom Baum der Erkenntnis, das Linsengericht, für welches das Erstgeburtsrecht der Kinder Gottes verschachert wurde, der Grund für den Auszug aus dem Vaterhaus der Kirche?

Das alles klang so aufgeklärt und sicher, dass ich meiner Gläubigkeit schier unsicher hätte werden können. Seid  ihr euch wirklich so sicher?

Und wie soll das weitergehen? – Nach welchen Richtlinien wollt Ihr z.B. Eure Kinder erziehen? – Und wie wollt Ihr mit Euren sieben Einsamkeiten – wie das Nietzsche nennt – fertig werden? – Ich bin in Sorge um Euch.

‚Gesegnete Weihnacht!’ kann ich nur einigen wünschen. Für die anderen gibt es anscheinend keine Weihnacht mehr. – Na, dann wenigstens: ‚Guten Appetit!’

                                                                                         Euer hinterbliebener  Gruppenkaplan“

 

                                                                                                                                         22.12.81

  • „Heute habe ich Ihren Brief erhalten – er hat mich enttäuscht... Dass Sie meinen Weg nicht billigen können und wollen, ist mit klar...“                                               Günther

                                                                                                                        

                                                                                                                                       25. 12. 81

  • „Was Sie schreiben  hat mich nicht überrascht... Jemand, der so unerschütterlich von der alleinigen  Richtigkeit seines Weges überzeugt ist, dem müssen alle, die andere Pfade einschlagen, als Irrende erscheinen. Mir ist aufgefallen, dass alle, mit denen ich gesprochen habe, ganz bewusst, ganz selbstbewusst  i h r „Leben gestalten“...- ein ganz wichtiges Verdienst der „Aktiv-Zeit“; wenngleich es in Ihren Augen als wertlos erscheinen muss, weil sich das Religiöse...fast gänzlich verflüchtigt hat...Und mir ist aufgefallen, dass niemand es nötig hatte, zementierte...oder dogmatische Prinzipien und Glaubenssätze zur Schau zu tragen...Ich will Ihnen meinen religiösen Werdegang nach Verlassen von Aktiv und Gruppe schildern. Also: Sehr schnell haben sich bei mir alle kirchlichen und religiösen Bräuche verloren. Schon damals in der Gruppe war es mir... z. B. nicht möglich, der „Eucharistie“ eine echte Bedeutung abzugewinnen. Als die Bindung zur Gruppe sich löste, war es nur zu konsequent, leere Gesten und sinnlose Pflichtübungen einzustellen...Hand in Hand und sich gegenseitig bedingend hat sich meine Entfremdung von der Kirche vollzogen. Sie wissen, ich habe sie in Grimmerthal als „miesen Verein“ bezeichnet. Es gibt wohl keine andere Großorganisation, die so unentwegt... gegen ihr eigenes Grundsatzprogramm verstößt: .. paktiert mit den Mächtigen der Welt... und treibt dubiose Geschäfte... das Geschrei der kath.  Kirche gegen die Reform des §218...

            Dieses und einiges andere mehr waren die Ursachen für meinen Kirchenaustritt... Ich   
            kann es nicht verantworten, diese Kirche mit meinem Geld zu  unterstützen... 
           verkörpern auch Sie mit Ihrer harten, unerbittlichen Art diesen Geist der Kirche. 

                                                                                                                                    Wolfgang

                                                                                                              

 

Ich habe Wolfgang so ausführlich zu Wort kommen lassen, weil seine Ausführungen typisch sind für den Vorgang des Abfalls vom Glauben:

Da ist zunächst einmal der Absolutheitsanspruch der göttlichen Wahrheit und nicht bloß meiner persönlichen Überzeugung, die als „hart und unerbittlich“ empfunden wird, insbesondere der Glaube an die Eucharistie - das „Geheimnis des Glaubens“ -, den Christus „unerbittlich“ einfordert: „Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht essen werdet..., werdet ihr das Leben nicht in euch haben....Da verließen ihn viele seiner Jünger..“(Joh.6,53/66).

Dann vermeintliche und tatsächliche Fehler nicht „der Kirche“, sondern der Menschen  in der Kirche. Geoffenbarte göttliche Wahrheit und Gebote werden als „zementierte oder dogmatische Prinzipien und Glaubenssätze“ abgelehnt. Und das beginnt damit, dass „schnell alle kirchlichen und religiösen Bräuche verloren“ gehen.

 

Für andere ergaben sich aus dem Kirchenaustritt eine Menge äußerer und innerer Schwierigkeiten

                                                                                                                                         31. 1. 82

„...Ich möchte nämlich heiraten. Die Ulla ist katholisch und ich bin das nicht mehr.

 

 

Aber zum Glück gibt es auch das:                    05. 12. 2000

 

  • „Sie waren unser Religionslehrer an der Oberrealschule und unser Kaplan in der Jugendgemeinschaft ND, wo ich in den Jahren 1962 – 1965 eine sehr schöne Zeit hatte... Zwischen 1966 und 1976 habe ich mich um Religion nicht gekümmert. Dann fand ich durch Meditation wieder zu Religion Zutritt... So wie Sie bin ich der Überzeugung, dass ein wahrer Gläubiger in der katholischen Kirche sehr gut aufgehoben ist und dass die Gnadenkraft von Jesus Christus in der Kirche wirkt... Ich habe begonnen, einige Berichte über...Gott, über Religionen in meinen Internetseiten darzustellen...“        Gerhard

 

Mit Ende des Schuljahres 1978/79 wurde ich pensioniert. Studienrat Alfons Uhl trat meine Nachfolge am Gregor-Mendel-Gymnasium an mit dem Auftrag, auch das Amt des Gruppenkaplans der KSJ zu übernehmen. Da aber der Auftrag weder auf Liebe noch auf Gegenliebe seitens der Gruppenmitglieder stieß, kam diese Ehe nicht zustande.

 

Weil das Heim Grimmerthal eine bekannte und beliebte Tagungsstätte geworden war, konnte ich die von mir investierten DM 300.000.- zurücknehmen und anderweitig investieren. Und das kam so:

Ich befand mich Ende der großen Ferien 1979 auf der Rückfahrt aus Italien und hatte noch etwas Zeit. Da erinnerte ich mich an den schönen Urlaub bei Pater Paul vor fast zwanzig Jahren in Pfelders und wollt dort einen Besuch machen. Zu meiner Überraschung fand ich  völlig veränderte Verhältnisse vor. Das idyllische, kleine Gebirgsdorf hatte sich beträchtlich vergrößert und zu einem Urlauberzentrum mit mehreren Hotels und Pensionen gemausert. Pater Paul war nach Holland zurückbeordert worden und das leere Pfarrhaus war in einem desolaten Zustand. Da kam mir der Gedanke: „In dieser herrlichen Gegend könnte man ein  phantastisches Ferienhaus für Jugendliche daraus machen“. Schon in den Allerheiligenferien fuhr ich wieder nach Pfelders und brachte die Sache ins Rollen.  

 

Auch in Amberg ergab sich eine günstige Gelegenheit, unser Heim im Ziegeltor zu erweitern:

Ende 1979 mieteten wir von der Stadtbau AG das Haus Ziegelgasse 44, das ans Ziegeltor angebaut ist, renovierten es und bauten es für unsere Zwecke um. Die Pläne machte das Architektenbüro Gräf gratis. Wir investierten fast DM 400.000.- und gewannen im Untergeschoss eine Werkstatt und Toiletten, im Erdgeschoss ein großes Gruppenzimmer, Küche, Sprechzimmer und ein Büro für den Förderverein, im 1.Geschoss  ein großes Führerzimmer und in den beiden Obergeschossen eine Hausmeisterwohnung. 

Bemerkenswert ist, dass infolge unserer strikten parteipolitischen Neutralität bei der feierlichen Einweihung Anfang des Jahres 1981 neben dem Oberbürgermeister Vertreter sämtlicher im Stadtrat vertretenen Parteien anwesend waren.

 

Nun fuhr ich jeweils Ostern, Pfingsten, Sommer- und Allerheiligenferien nach Pfelders, um den Umbau des Pfarrhauses in die Wege zu leiten und zu begleiten. Mit der Kirchengemeinde von Pfelders, welcher der Pfarrer von Moos vorstand, schlossen wir einen Mietvertrag auf   22 Jahre – in dieser Zeit sollten die veranschlagten Kosten von DM 220.000.- abgemietet werden.

 

Der Amberger Architekt Liebl fertigte gratis die Pläne und Diplomingenieur Gufler aus Meran übernahm zu den gleichen Bedingungen die Bauaufsicht. Seine Frau Martha machte uns die Buchführung. – Es wäre leichter und billiger gewesen, das alte Pfarrhaus abzureißen und einen Neubau zu erstellen. Aber alle alten  Pfarrhäuser  Südtirols stehen unter Denkmalschutz. Und weil ich keine Halbheiten, sondern Nägel mit Köpfen machen wollte, ließ ich den Keller - von 1,5m Höhe! - tiefer legen, für Schlafräume ein Stockwerk aufsetzen, die Nassräume zentral anordnen und einen Anbau für Garage, Holzlege, ein kleines Schlafzimmer und einen kleinen Tagesraum erstellen.

Deswegen und weil ich selber nur selten anwesend sein konnte, verschlang der Bau mein ganzes Privatkapital von DM 500.000.- Weder von der Gemeinde noch von sonst irgendwem hatten wir einen Zuschuss bekommen.

 

Natürlich war ich mir bewusst, dass diese Summe nicht zu erwirtschaften war, weil Pfelders wegen seiner Lage  nur ein halbes Jahr für den Fremdenverkehr geeignet ist: Sommersaison von Juni bis September und Wintersaison von Weihnachten bis Ostern. Letztere kann ohnehin von Deutschland wegen der Schulzeit nicht beschickt werden. Pfelders ist eben eine Marotte von mir. Und weil ich das Geld nicht brauche, überlasse ich auch die dortigen Gewinne    dem

Förderverein der Studierenden Jugend.

 

files/ksj-pool/merz/image0068.jpgPfingsten 1982 wurde das Jugendheim Pfelders feierlich eingeweiht. Weil das alte Pfarrhaus eigentlich Eigentum der Prämonstratenserabtei Stams war, hatte ich natürlich den Abt von unserer Umbaumaßnahme verständigt und dessen Einwilligung erhalten. In den großen Ferien besuchte er mich in Begleitung eines Paters und lobte mich ob des gelungenen Werkes über die Maßen. Als ich jedoch eine Andeutung  in Richtung Zuschuss machte, lud er mich zu einer Jause in eine Gastwirtschaft ein. Und weil mich die Wirtin gut kannte, schenkte sie uns die Jause.      

 

Jedes Jahr in den Pfingstferien verbringen die Großen unserer Gruppe in Pfelders eine Freizeitwoche. Ich selbst  habe im Pfarrhaus ein typisch südtiroler Appartement und mache eine oder zwei Wochen im August mit einem meiner Buben Bergwanderungen. 

In den achtziger Jahren hatte ich noch eine Gruppe dabei und ich erinnere mich einer Besteigung des Seelenkogels, bei der mir einer zuflüsterte:„Ich habe gebetet, dass ich wieder heil herunterkomme“.  

Inzwischen habe ich mit Ausnahme des Lodeners alle Hochtouren rings um Pfelders gemacht. Mit 70 Jahren war ich das letzte Mal auf der Hohen  Wilde, mit 84 auf der Sefiarspitz und mit 86 auf der Hohen Warte.

 

Nach neun Jahren ersuchte mich der Pfarrer von Moos, den Vertrag zu kündigen und einen neuen zu erstellen. Die Kirchengemeinde musste nämlich jährlich die DM 10.000.- Miete – die praktisch im Pfarrhof verbaut worden waren – versteuern. Also fertigten wir einen neuen Vertrag an, in welchem die Miete nicht mehr erwähnt wurde d.h. wir konnten die Miete nicht mehr steuerlich absetzen.

Nun versuchte ich im Hinblick auf die aufgebrachten DM 500.000.- eine entsprechende Mietverlängerung zu erreichen. Der Bischof von Bozen, der damals zufällig in Pfelders war, sah das auch ein. Der Pfarrgemeinderat hingegen wollte sich vor Ablauf der Mietfrist nicht festlegen. Darum wird jetzt – 2003 – ein neuer Mietvertrag geschlossen, nach dem wir jährlich ca. 4000.- Euro Miete und andere Unkosten zahlen.