E) Dompfarrvikar in Regensburg
Am 16.11.1942 trat ich also meine Stelle als „Dompfarrvikar“ in Regensburg an. Dompfarrvikare wurden die Dompfarrkapläne genannt, weil sie einen eigenen Pfarrbezirk verwalteten und deshalb unabkömmlich waren. Die Pfarrschwester hatte mich bereits am 2.Tag durchschaut: „Eines kann er, der neue Kooperator: die Arbeit verteilen.“ Trotzdem blieb für mich noch genug zu tun.
Ich nahm sofort den Aufbau von Gruppen der Studierenden Jugend in Angriff. Anlass dazu gab die Verkürzung des Religionsunterrichtes auf eine Wochenstunde vom fünften Schuljahr an. Also gaben wir Kapläne „Bibelunterricht“. Meine Gymnasiasten und Hauptschüler gruppierte ich nach Jahrgangstufen und unterrichtete sie in einer Kegelbahn im Jugendheim am Prinzenweg, wo wir uns vor ungebetenen Gästen sicher fühlten.
Die damalige Hauptschule war eine Gründung der Nazis. Alle talentierten Kinder, die nicht das Gymnasium besuchten, kamen zwangsweise an die Hauptschule, welche von einem Erznazi geleitet wurde und linientreuen Nachwuchs für die Partei heranbilden sollte. An besagter Hauptschule gab ich Religionsunterricht. Mit Absicht wurde diese einzige Religionsstunde an das Ende des Nachmittagsunterrichts gelegt und fiel deshalb häufig aus, besonders „wegen Kälte“, da infolge der Kriegsnot an Heizmaterial gespart werden musste. So kamen mir des öfteren meine Hauptschüler vor dem Schulhaus freudig entgegen: „Schulfrei wegen kaltem Klassenzimmer.“
Eine Reihe von Hauptschülern hatte ich auch in meinen Bibelstunden. Sie waren mir Rückhalt im Religionsunterricht und erzählten mir z.B.: „Der Junglehrer da hinten ist ein Aufpasser des Rektors.“ Durch sie hatte ich auch mit meiner Hauptschulklasse guten Kontakt. Während des immer häufigeren Fliegeralarms gingen wir jeweils in den Luftschutzkeller und machten dort lustige Spiele, was der Rektor mit wachsendem Groll beobachtete.
Auf meine Buben konnte ich mich auch sonst verlassen. Einer meiner ‚Sturmvögel’, der Walter, stammte aus einer areligiösen Familie. Eines Tages steht er beim Mittagessen auf, schlägt vor den verblüfften Eltern ein feierliches Kreuzzeichen und betet das Tischgebet.
In den Bibelstunden schauten wir natürlich nicht nur Bibelbilder an, sondern hielten regelrechte Gruppenstunden. Für die reifere Jugend veranstalteten wir – meine Priesterkollegen und ich – Glaubensstunden und Gottesdienste in der Kriegerkapelle von Niedermünster und in der Erhardi-Krypta.
Damals gab es noch die Beichtzettelsammlung. Jeder, der während der Osterzeit beichtete, bekam ein Andachtsbild mit der Aufschrift: „Osterbeichte 19...“ Diese Zettel wurden alljährlich von den Seelsorgern eingesammelt. Das war freilich eine heute undenkbare Kontrolle und sehr zeitaufwendig. Jedoch bekam man einen Einblick in die Situation der Familien. Schon die Gestaltung der Wohnung war aufschlussreich; ob in der guten Stube ein Kreuz oder ein Hitlerbild hing. Auch der Empfang war bezeichnend: „Kommen Sie vom Wohnungsamt?“ oder:“Mutti, der Koprata is da – Beichtzettl!“ Aber trotz mancher Ausreden und Verstimmungen bekam der Seelsorger einen guten Überblick über die Pfarrei, konnte manche Unklarheit beseitigen und vieles zurechtrücken wie z.B.: „Gute Frau, wenn sie auch ihren kleinen Jungen allsonntäglich zur Messe schicken – was nützt das, wenn sie selber nicht gehen? Außerdem wird der Bub bald Lunte riechen, wenn immer wieder ein neuer „Onkel“ bei seiner Mutter aufkreuzt.“
Natürlich brachte der Krieg noch besondere Belastungen mit sich. Des öfteren musste ich mit einigen meiner Buben in einem zerbombten Haus die noch verbliebenen Habseligkeiten aus dem Schutt buddeln. Außerdem war ich zur Domfeuerwehr eingeteilt. Übrigens ein angenehmer Job. Ich brauchte bei Alarm nicht in den Luftschutzkeller, sondern patrouillierte durch die vielen Gänge und Türme des Doms und schaute mir die Angriffe der Amerikaner auf die Messerschmittwerke oder den Bahnhof von oben an.
Als Luftschutzbunker diente uns der „Eselsturm“. Das ist ein Turm des einstigen romanischen Domes, der zum Bau des jetzigen für den Transport von Material mit Eseln hergerichtet worden war. Er hat nicht nur dicke Mauern; in seiner Mitte befindet sich eine massive Steinssäule als Träger eines im Schneckengang ansteigenden Gewölbes, das von unten bis oben führt und einst den Transporteseln als Weg diente. Am Fuß dieser Säule unter den vielen übereinanderliegenden Gewölben fühlten wir uns sicher wie in Abrahams Schoß. Einmal standen wir während eines Fliegerangriffes wieder ganz oben auf dem Eselsturm; da krachte es plötzlich von allen Seiten; rundherum schlugen Bomben ein in die Schwibbogengasse, die Niedermünsterkirche, das Erhardihaus und die Alte Kapelle. Wie der Wind fegten wir den Eselgang hinunter in sichere Deckung.
Den Mesnerdienst in der Niedermünsterkirche besorgte damals zeitweise eine Nonne vom Orden der Armen Schulschwestern: Edelgid. Sie war ausgesprochen liebenswürdig und hilfsbereit und verfertigte für unsere Jugend Banner und Fahrradwimpel. Sie war aber nicht glücklich und faßte das in die Worte: „In der Welt gibt es keine Keuschheit und im Kloster kein Liebe.“ Ihre Brüder rieten ihr, die Chance unter Hitler zu benützen und aus dem Orden auszutreten. Das tat sie nicht. Erst als nach 45 wieder normale Verhältnisse eingetreten waren, verließ sie den Orden.
1943 gab es im Dompfarrhof einen Wechsel. Domkapitular Höfner resignierte und Dompfarrer Meister zog ein und mit ihm seine kleine, spindeldürre und knauserige Haushälterin. Nun war erst recht Schmalhans Küchenmeister im Dompfarrhof.
Einen weiteren Wechsel brachte das Jahr 1944. Zwei neue Dompfarrvikare zogen ein:
Franz Kaiser und Eduard Kainz. War das Verhältnis zwischen den Dompfarrvikaren bisher schon kameradschaftlich, so wurde es jetzt freundschaftlich.
In diese Zeit fällt auch eine Begebenheit, die mich unwillkürlich an jenen denkwürdigen Versehgang in Pfelders erinnerte. Unsere Mesnerin machte mich darauf aufmerksam, dass der reiche Apotheker, in dessen Haus sie wohnte, schwer krank sei. Also machte ich mich sogleich auf zu einem Krankenbesuch, wurde aber freundlich abgewiesen:„..er würde sich aufregen. Wenn es so weit ist, werden wir Sie rufen.“ – Wir hatten im Dompfarrhof eine Hauskapelle und das Allerheiligste war in der Krankenburse stets griffbereit. Zudem war die Apotheke nur etwa 100m entfernt. – Als es nach ein paar Tagen „so weit“ war und ich gerufen wurde, war ich in einigen Minuten zur Stelle – der Apotheker war tot. – Ein denkwürdiges Gegenstück zu meinem damaligen Versehgang im Steinwald.
Das Kriegsende rückte immer näher und damit steigerte sich auch die Nervosität der Nazis. Wir vermuteten, dass sie nicht ohne Terror abgehen würden und richteten uns darauf ein.
Für den äußersten Notfall hatte ich mir bereits ein Versteck im Labyrinth des Domes ausgesucht.
Die Stadt sollte auf jeden Fall verteidigt werden. Der örtliche Rundfunk tönte: „... und wenn wir mit Zaunlatten gegen die Panzer angehen müssen...“ – Die Amis waren bereits in Stadtamhof und drohten, Regensburg zu bombardieren, wenn es nicht zur offenen Stadt erklärt würde.
Da ging es eines Tages wie ein Lauffeuer durch Regensburg: „Kundgebung zur Freigabe der Stadt auf dem Moltkeplatz!“
Diesen Nachmittag hatte ich eine Beerdigung im Oberen Friedhof. Die Leichenfrau hatte alles zurechtgerichtet und war mit ihren Kindern zur Kundgebung geeilt. So stand ich allein mit dem Sarg vor dem Grab, weil wegen der Tieffliegergefahr alle Trauergäste weggeblieben waren. Ich erledigte möglichst rasch den Begräbnisritus, jederzeit bereit, bei Fliegergefahr im offenen Grab Deckung zu suchen. Dann eilte auch ich zur Kundgebung und hatte Gelegenheit, bei einer befreundeten Familie die Ereignisse von oben zu betrachten.
Es herrschte auf dem Platz ein dichtes Menschengedränge und alle waren in gespannter Erwartung, was nun geschehen würde. Da bestieg Domprediger Dr. Johann Maier eine Betonlamelle und sprach in die lauschende Menge: „Wir bitten um die Freigabe der Stadt aus folgenden vier Gründen...“ Weiter kam er nicht, denn er wurde von einem Gestapobeamten vom Podest heruntergezerrt und von weiteren Gestapoleuten in einem Haftwagen abtransportiert. Ein gewisser Josef Zirkl und ein Michael Lotter, die dem Domprediger hatten beistehen wollen, wurden ebenfalls verhaftet. – Dann fuhren Lastwagen rücksichtslos kreuz und quer über den Platz, bis er menschenleer war.
Am nächsten Morgen hing an einer Querstange zwischen zwei Fahnenmasten der strangulierte, entseelte Körper des Dompredigers. Man hatte ihn kahl geschoren, seiner Priesterkleidung beraubt und – um ihn noch im Tod lächerlich zu machen – in eine für ihn viel zu kleine schäbige Sträflingskleidung gesteckt. An der Brust der Leiche hing ein Pappschild: „Hier starb ein Saboteur“. Neben dem Domprediger hing der ebenfalls strangulierte Josef Zirkl. Zu Füssen der beiden Erhängten lag auf einer Schragen die Leiche des in der Kreisleitung erschossenen Michael Lotter .
Die Schreckensnachricht von diesen Morden wurde über die Sender der Alliierten verbreitet und erregte bei meinen Angehörigen in Amberg große Aufregung, weil sie aus der Nachricht nur heraushörten, dass ein „Dompriester“ erhängt wurde und weil meine Mutter wusste: Der Franz hält das Maul nicht.
Da alle Nachrichtenverbindungen unterbrochen waren, fuhr ich gleich nach dem Einmarsch der Amerikaner mit dem Rad nach Amberg. Das war wegen der Tiefflieger keine ungefährliche Sache. Aber meine Angehörigen waren heilfroh, als der Totgeglaubte in alter Frische aufkreuzte.
Unsere Jugendarbeit konnte sich nun ungehindert entfalten. Mit den 12-jährigen „Sturmvögeln“ unternahm ich schon in den ersten Wochen der amerikanischen Besatzung eine Fahrt nach Matting. Auf dem Hanslberg durften wir eine Blockhütte des Alpenvereins benützen. Am Sonntag hielt ich den Bauern eine Predigt über den barmherzigen Samariter, deren Wirkung noch gewaltig dadurch verstärkt wurde, dass der noch nüchterne Wimpelträger während der Messe vor dem Altar in Ohnmacht fiel. Nach dem Gottesdienst schickte ich die Buben zur Lebensmittelkollekte. Wir hatten dann zu essen in Hülle und Fülle.
Mit den Älteren, den „Sperbern“, waren wir bei der Bauernfamilie eines unserer Mitglieder eingeladen. Das war ein Fest! Und die Buben konnten sich nicht nur satt –, sondern auch für einige Tage voressen. Einen von ihnen fand man weinend in einen Heuhaufen sitzend. Auf die Frage, warum er denn heule, sagte er: „Dös guate Ess’n – und i bring nix mehr runter!“
Die rasch anwachsenden Jugendgruppenteilten wir nun in Georgspfadfinder, Sturmschar für Volksschüler und Werktätige, Neudeutschland für die Schüler weiterführender Schulen und Mädchengruppen.
Die Nachkriegsjugend war nicht nur körperlich ausgehungert, sondern sehnte sich nach dem öden Betrieb der Hitlerjugend auch nach geistiger Orientierung. Bereits am 3.Februear 1946 konnten wir in der Kirche des Kollegiatsstiftes St. Johann eine Gruppenweihe mit über 200 Jugendlichen feiern. Dabei wurden die neuen Banner und Wimpel gesegnet. Leitgedanke war:
„Kampfentschlossen, lichtdurchdrungen
Schmieden wir das Heer der Jungen,
Einer Kette heilig Band;
Ziehen wir aus dunklen Nächten,
Aus des Elends schwarzen Schächten,
In der Zukunft neues Land.“
Wegen der enormen Lebensmittelknappheit bekam ich im Dompfarrhof einen eigenen Haushalt und nahm meine Mutter zu mir, deren chronisches Magenleiden von da an wie weggeblasen war. Auch für sie war die Beschaffung der Lebensmittel keine Kleinigkeit und oft fuhr sie mit dem Rad aufs Land, um einen Liter Milch zu besorgen – bei der raudimäßigen Fahrweise der Amerikaner keine ungefährliche Sache.
Anfang April 1946 verstarb Dompfarrer Meister. Seine Köchin zog aufs Land und nahm alle Lebensmittel, die sie zur Verpflegung der Geistlichen gesammelt hatte, mit.
Ich war nun vom 10. 4. bis 1. 6. Dompfarradministrator und musste neben der Tätigkeit als Stadtjugendseelsorger auch noch meinen Pfarrkonkurs bewältigen.
In diese Zeit fällt auch ein enttäuschendes Erlebnis. Unter meinen Buben war ein Domspatz, den ich bei einem Elternabend ein Lied vortragen ließ. Das erboste den Domkapellmeister Dr.Theobald Schrems derartig, dass er mir einen ansehnlichen Geldbetrag, den ich ihm für einen Auftritt seines Chores in der Niedermünsterkirche überwiesen hatte, entrüstet zurücksandte.
An die Nahkriegszeit erinnert sich Alex Siegerstetter, einer meiner ehemaligen Sturmvögel:
„Nach dem Zusammenbruch des Naziregimes beginnen wir unsere Jugendarbeit in der Öffentlichkeit. Das Jugendheim am Prinzenweg wird mit Gruppenzimmern ausgestattet und Merz organisiert dort während der schullosen Zeit zwischen 1945/46 Unterricht für die Schüler der Pfarrei durch gute Lehrkräfte.
Zusammen mit H.H. Kainz wird eine Hilfsaktion organisiert. Zahlreiche Bettelbriefe gehen an katholische Wohlfahrtsorganisationen in die USA. Eine große Anzahl von Care – Paketen, die an die Jugend verteilt werden, ist ihre Antwort. Bei einer Lebensmittelrationierung von 50 Gramm Fett pro Monat wandert auch so manches Butterpäckchen, das dem Herrn Kooperator zugedacht war, in Bubenhände und Bubenmägen. .
Hier muss auch Franzens Mutter gedacht werden, die uns Buben immer mitkommen ließ. Wie viel Kummer wird sie mit Tausenden ungeputzter Bubenschuhe gehabt haben, die über ihre Schwelle getreten sind.
Nicht nur in den Gruppenstunden, sondern auch bei Sonntagswanderungen mit Baden in Regen, Naab und Donau entfaltete sich das Gruppenleben. Den Eltern werden die Ziele unserer Gruppenarbeit in Elternabenden nahegebracht. Mit Schlauch- und Ruderbooten geht es auf große Fahrt z.B. auf der Donau von Weltenburg nach Regensburg. Sommerfahrten führen in den Bayrischen Wald und in die Alpen. An Pfingsten sind meist Zeltlager in der näheren Umgebung.
Eine Theatergruppe wird aufgebaut für Krippenspiele, lustige Sketche an Fasching, aber auch große Aufführungen, wie das „Überlinger Münsterspiel“ vor der Südfassade des Doms. Zur Linderung der Lebensmittelnot der Großstadtjugend gibt es Theateraufführungen auf dem Land, wie in Matting, Oberndorf und Rettenbach.“
In unserer Theatergruppe entfaltete sich auch ein großes mimisches Talent: Willi Harlander, der später bekannte Volksschauspieler und Charakterdarsteller im bayerischen Fernsehen.“
Gleich nach Kriegsende holte ich mein Triumph-Doppelkolben-Motorrad unter dem Kohlenhaufen hervor und brachte es wieder in Schwung. Jedes Jahr in den Sommerferien nahm ich einen meiner Buben auf dem Motorrad mit in den Urlaub. Die Maschine war schwer bepackt: rechts und links am Hinterrad eine prallgefüllte Packtasche, auf dem Gepäckträger Luftmatratzen und Schlafsäcke, welche den vollgestopften Rucksack des Beifahrers abstützten.
Einmal – es war bei Reichenhall - fuhr ich einem überholenden Auto nach, das gerade noch einem entgegenkommenden Lastwagen nach rechts ausweichen konnte. Ich bremse scharf, stürze und schlittere mit meiner Maschine unter den scharf abbremsenden Lastwagen: Ich blute an Händen und im Gesicht. Mein jugendlicher Begleiter war abgesprungen und unverletzt. Seine Reaktion: „Jetzt habe ich doch endlich einmal einen Unfall erlebt.“ Ich darauf trocken: “Und wenn ich tot gewesen wäre, hättest du einen tödlichen Unfall erlebt.“
Die Zusammenarbeit der drei Dompfarrkapläne war nicht nur reibungslos, sondern geprägt von brüderlichem Wohlwollen. Eduard Kainz, den Alex in seinen Erinnerungen als „feinsinnigen Künstler im Priesterrock, glänzenden Prediger und begabten Stückeschreiber“ kennzeichnet, widmete mir – wie er sich ausdrückte: dem „Bubenkönig der Dompfarrei“ - sogar eines seiner Theaterstücke.
Bei meiner Bewerbung um die Stelle eines Studienrates an der Berufsschule wurden Bedenken bezüglich meiner staatsbürgerlichen Zuverlässigkeit erhoben, In meinem Abiturzeugnis stand nämlich: „In der Sonderprüfung zeigte er erfreuliche Ausdrucksfähigkeit, klares Denkvermögen und tiefes Verständnis für das große Geschehen unserer Zeit.“
So musste ich denn berichten und belegen, wie es zu dieser wohlwollend gemeinten Bemerkung kam.
Aus meiner Tätigkeit an der Berufsschule, die ich am 01.02.1948 begann, nur ein Erlebnis:
Ich musste eine „Allgemeine Klasse“ übernehmen mit etwa 30 17 – 18 jährigen Jungen von unterschiedlichster Intelligenz. Die große Masse bestand aus „Berufslosen“, also Laufburschen und ehemaligen Hilfsschülern. Unter den „Allgemeinen“ waren aber auch Intelligente, zum Beispiel Musiker, für die es wegen ihrer geringen Zahl keine berufsspezifische Klasse gab. Gleich in der ersten Unterrichtsstunde geschah es: Das einleitende Gebet war zu Ende, die Schüler setzten sich und ein kleiner Dicker unmittelbar vor mir sagte so beiläufig vor sich hin: „Hirl“. Das war das Signal dafür, dass mein Vortrag in kurzen Abständen immer wieder unterbrochen wurde von einem mal lauten, mal leisen aus verschiedenen Richtungen kommenden „Hirl“. Ich erzählte interessante Anekdoten aus dem RAD. Aber sobald ich überleiten wollte zu religiösen Nutzanwendungen, ertönte es wieder da und dort „Hirl“. Ich kam ins Schwitzen und war heilfroh, als die Schulglocke zum Stundenwechsel ertönte. Vor dem Klassenzimmer fragte ich dann einen der Intelligenteren: „Was soll denn das bedeuten: ‚Hirl?“ – „Das weiß ich auch nicht. Aber das machen wir in jeder Religionsstunde und damit haben wir schon drei Religionslehrer vertrieben.“
Ich war im Bilde und sagte dem Direktor, dass man eine so große Klasse mit Schülern von so unterschiedlicher Intelligenz nicht unterrichten kann. Der Chef versprach mir, die Klasse nach Intelligenz der Schüler zu teilen. In der nächsten Religionsstunde das gleiche Theater. Gleich nach dem Gebet aus der ersten Bank: „Hirl“. Ich rief den kleinen Dicken vor mir auf und fragte: „Bist du aus der Normalschule oder aus der Hilfsschule?“ Er warf sich in die Brust: „Aus der Normalschule.“ Und dann bekam er eine schallende Ohrfeige, die ihn auf seinen Sitz zurückbeförderte. –
Ich sagte nur:„Unter euch sind Leute, die so blöd sind, dass sie „Hirl“ schreien. Darum werdet ihr nun nach Intelligenz geteilt und jene, welche weiterhin so hirnverbrannt sind, dass sie „Hirl“ schreien, bekommen den Zeugnisvermerk: „bildungsunfähig“. Das wirkte.
Bald darauf bekam ich meine Berufung an die Oberrealschule nach Amberg.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass aus den Jungengruppen der Dompfarrei in den Nachkriegsjahren mehrere Berufungen zum Priestertum erwuchsen: drei Jesuitenpatres und vier Weltpriester.
Und immer noch halten meine mittlerweile 65 bis 75-jährigen „Buben“ von damals zusammen wie Pech und Schwefel. Bei jedem meiner Jubiläen kommen sie – einer sogar aus Amerika – in der geistlichen Heimat ihrer Jugend, der Niedermünsterkirche, zusammen zur Messe mit ihrem Jugendkaplan und den Priestern aus ihren Reihen und anschließend zu frohem Feiern und Plaudern im Kolpingshaus. Freilich, die Namensliste beim „Memento mortuorum“ wird von Treffen zu Treffen länger.